Sonntägliche Gedanken – Yoga und die Welt

»Yoga ist mir zu selbstbezogen«.

Vor nicht allzu langer Zeit sagte ein guter Freund von mir diesen Satz bei einem Glas Wein. Es war der Tag nach den Präsidentschaftswahlen in den USA, die ganze Welt hielt scheinbar den Atem an und wir führten dieses Gespräch inmitten einer Pandemie, die das Leben vieler Menschen nachhaltig berührt und verändert. Die Frage zwischen den Zeilen war auch: Wieso sollte es sinnvoll sein, still zu sitzen und zu atmen; inwieweit hilft es der Welt?

Auch wenn in der westlichen Welt die populärste Form, sich mit Yoga zu beschäftigen, die des körperlichen Übens von Yogaposen (Asana) ist: Yoga ist weit mehr als das. Einer der wichtigsten Texte des Yoga ist das Yoga-Sutra von Patanjali. Patanjali beschreibt Yoga als achtgliedrigen Pfad, und gleich der erste dieser Pfade beschäftigt sich damit, wie wir mit der Welt interagieren und in ihr handeln, er beschreibt also eine Ethik, die dem Yoga zugrunde liegt.

Es stimmt, das wir im Yoga viel nach innen schauen. Ob wir meditieren oder von Asana zu Asana fließen: Wir werden angehalten, unsere Aufmerksamkeit zu richten auf den Atem, die Empfindungen im Körper, die Erfahrungen und Sinneseindrücke im Moment. Dieses nach innen schauen kann helfen Stress zu regulieren, das eigene Körperempfinden zu verbessern und vielleicht am wichtigsten: uns vertrauter zu machen mit der eigenen inneren Landschaft – unseren Emotionen, Wahrnehmungen und unserem Bewusstsein. Aber es kann mehr als das.

Yoga bedeutet Einheit, Verbindung. In dem Moment, in dem wir unsere Aufmerksamkeit richten auf den Fluss des Atems, den Rhythmus des eigenen Herzschlags, verbinden wir uns nicht nur mit dem Leben in uns selbst, sondern mit dem Leben, das uns umgibt. Wenn wir einatmen, atmen wir Sauerstoff, den Pflanzen und Bäume produziert haben. Mit der Ausatmung geben wir Kohlendioxid zurück, welches gemeinsam mit Wasser und Licht wiederum von Pflanzen zur Photosynthese genutzt wird, um sich selbst zu nähren. Wir alle teilen dieselbe Luft, dasselbe Licht.
Wir sind – auch wenn wir dazu neigen, es zu vergessen in unserer technologieorientierten Welt – Teil der Natur. Nicht außerhalb von ihr. Diese Einheit schafft Empathie. Und Empathie schafft Fürsorge. Für uns selbst, für die Umwelt, für unsere Mitmenschen, für die Welt im Allgemeinen.

Yoga ist keine Blase mit der wir uns von der Welt absondern. Yoga ist Selbstfürsorge UND spirituelle Praxis. Es schafft Verbindung mit allem was uns umgibt, mit allem was schön ist und allem was schmerzt, und hilft uns beides anzunehmen, zu verstoffwechseln und: zu transformieren.